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Frauen – Work in progress

Integrationsarbeit heißt, zugezogenen Menschen neue Perspektiven zu eröffnen. Damit Menschen mit Migrationshintergrund oder geflüchtete Menschen in Deutschland eine neue Heimat finden und sich integrieren können, müssen sie auch von der einheimischen Gesellschaft aufgenommen werden. Die Ergebnisse der Landtagswahlen haben jedoch gezeigt, dass die Integration geflüchteter Menschen ein vieldiskutiertes Thema bleibt. Vor allem Menschen, die bisher wenig oder gar keinen Kontakt zu Geflüchteten hatten, bleiben skeptisch. Von daher arbeiten die Integrationsprojekte der „Euro-Schulen“ mit den Geflüchteten sowie über Bausteine der interkulturellen Bildung. Interkulturelle Bildungsarbeit hat dabei viele Facetten: Sie kann über die Begegnung erfolgen, über demokratiepädagogische Ansätze oder auch über Kunstprojekte als Vermittlungsprojekte. Über das Medium Fotografie soll nun eine erste Berührung zwischen geflüchteten und einheimischen Menschen erfolgen, indem Geschichten erzählt werden, die Gemeinsamkeiten viel leichter finden lassen. Marina Girev, Mitarbeiterin der Euro-Schulen und Koordinatorin eines Arbeitsmarktintegrationsprojektes, begründet die Wichtigkeit des Vermittlungsansatzes: „Um geflüchtete Menschen in Arbeit zu integrieren, müssen Unternehmen und Kollegium dafür offen sein. Wer gute Arbeitsmarktintegration leisten will, braucht interkulturelle Bildungsarbeit.“ Dass dies nicht immer belehrend und vortragend erfolgen muss, zeigt das geplante Fotoprojekt „Frauen und Flucht“.

Unter dem Titel „Frauen im Chemiepark“ hat die Leipziger Künstlerin Julia Katharina Weiser geflüchtete Frauen bewusst an Bitterfeld-Wolfens traditionsreichem Standort – dem Chemiepark – porträtiert. Julia Weiser, die 2015 ihr Diplom an der „Hochschule für Grafik und Buchkunst“ in Leipzig im Kontext moderner Industriearchitektur gemacht hat, ist von der Region begeistert: „Allein die Geschichte der Region um Film und Fotografie herum ist beeindruckend. Es war von daher klar, dass man die Geschichten der geflüchteten Frauen an genau diesem Ort erzählen muss. Nach Sichtung der entstandenen Fotografien fiel mir sofort eine kontrastierende Bildsprache und Lesart auf: Zum einen wirken die Frauen deplatziert an diesem Ort, gleichzeitig verschmelzen sie mit der kargen Industrielandschaft – je nachdem, mit welchem Grundverständnis man das Thema „Frauen im Chemiepark“ ansetzt.“ Wie kann man Flucht und Industriegeschichte zusammenbringen? Es wirkt wie zwei Welten, die unvereinbar sind. Gleichzeitig ist auch die Geschichte des Chemieparks eine Geschichte von Neuanfang und Weiterentwicklung, verbunden mit den gleichen Herausforderungen, vor denen die abgebildeten Frauen stehen: sich neu finden und definieren, um ihren Platz in der Bitterfeld-Wolfener Gesellschaft zu finden. Julia Katharina Weiser plant, die Frauen unter dem Titel „Wir Frauen“ über einen längeren Zeitraum mit der Kamera zu begleiten. Während der Aufnahmen im Chemiepark sagte eine der porträtierten jungen Frauen: „Hier sieht es aus wie bei uns in Syrien, nur dort waren weniger Zäune.“

Zäune oder Grenzen sind es auch die Menschen voneinander abgrenzen. Teilweise reale Grenzen, teilweise fiktive Grenzen in den Köpfen. Speziell die Letzteren lassen die neue Heimat nicht zur Heimat werden. Dabei sind die Frauen nun ein Teil dieser Industriestadt und müssen sich ebenso wie Nicht-Geflüchtete ihren Platz zwischen Solar- und Industrielandschaft auf der einen Seite und idyllischer Seenlandschaft auf der anderen Seite neu suchen. Vielleicht vermag diese Chemielandschaft mehr als man ihr zunächst zutraut, indem sie die Menschen begleitet, Erinnerungen wachruft an die eigene Heimat und neue Verbindungen schafft.

(Carolin Kiehl, 2016)